Nichtsdestotrotz galt es besonders für die georgische Regierung auch nach der „Beitrittsperspektive“ am Ball zu bleiben und ambitionierte Anstrengungen für eine europäische Integration zu unternehmen. Die EU gab der georgischen Regierung also einen indiskutablen und klaren Auftrag: Reformen umsetzen und einen pro-europäischen Kurs verfolgen. Konkret erwarteten sie zwölf substanzielle Reformschritte und eine intensivere Zusammenarbeit der Regierung mit Opposition und Zivilgesellschaft. Besonders hohe Priorität hatte die Umsetzung einer Justizreform, die eine unabhängige Justiz und Korruptionsbekämpfungsbehörde sicherstellen soll. Der EU-Beitrittsprozess hätte damit als Wegbereiter für die Stärkung demokratischer Institutionen und den Schutz grundlegender Freiheiten und Menschenrechte wirken können.
Grund für die Demonstrationen sind die aktuellen Entwicklungen beim umstrittenen sog. „Transparenzgesetz“ zur „ausländischen Einflussnahme“. Nach der heutigen (14.05.24) dritten und letzten Lesung wurde das Gesetz entgegen dem Willen der Bevölkerung durch die Regierungsmehrheit mit 84 Ja-Stimmen zu 30 Gegenstimmen beschlossen. Das Gesetz sieht u.a. vor, dass sich Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) behördlich registrieren müssen, sofern sie zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden. Die registrierten Medien und Organisationen dürfen ohne richterlichen Beschluss vom Staat überwacht, abgehört und „inspiziert“ werden. Auch persönliche Daten von Mitarbeitenden können gesammelt und verwendet werden. Bei Nichtregistrierung drohen hohe Geldstrafen.
Kritiker*innen sehen eine gefährlich große Nähe zum russischen „Agentengesetz“, welche Medien, NGOs, aber auch Einzelpersonen willkürlich unter Generalverdacht setzt und einschränkt. Die Regierung Georgiens behauptet, lediglich Transparenz über Finanzierungsflüsse haben zu wollen und vergleicht das Vorhaben bewusst fälschlicherweise mit dem Entwurf der EU für eine Transparenzrichtlinie. Letztere betrifft allerdings eindeutig benannte und bezahlte Dienstleistungen zur ausländischen Interessensvertretung, während das neue georgische Gesetz die generelle Finanzierung mit gezielter ausländischer Einflussnahme gleichsetzt. Die Arbeit zahlreicher freier Medien und NGOs wird dadurch stigmatisiert, die Mitarbeitenden eingeschüchtert.
Die georgische Opposition sieht diesen Erlass der Regierungspartei „Georgischer Traum“ zurecht als große Gefahr für eine EU-Beitrittsperspektive. Zugleich zwingt sich aber auch die Frage auf, ob die Regierungspartei überhaupt noch Interesse an einer Aufnahme in die EU hat. Neben dem verabschiedeten „Transparenzgesetz“, strebt die Regierungspartei auch eine Verfassungsänderung an, die die Rechte der LGBTQIA* massiv eingeschränkt würde und auch die zunehmende Anti-EU Rhetorik lässt an Ambitionen für eine europäische Zukunftsvision zweifeln. Eine EU-Mitgliedschaft ist unter diesen Entwicklungen derzeit schlicht unmöglich.
Bei einem Besuch der georgischen Delegation am 17. Mai in Berlin wurde deutlich, dass die kommenden Parlamentswahlen am 26. Oktober in Georgien noch einmal entscheidend sein werden und der Wunsch nach Unterstützung für demokratische Wahlprozesse groß ist. Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili spricht dabei von einem symbolischen Referendum für oder gegen Europa, das es zu beobachten gilt.
Es liegt nun an uns, alles daran zu setzen, die sehr vielfältige Landschaft an zivilgesellschaftlichen Organisationen in Georgien zu bekräftigen. Wir müssen an der Seite der Bevölkerung stehen und den mutigen Protestierenden Rückenwind geben, denn eins ist klar: Die große Mehrheit möchte weg von Russland, hin zur EU.